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Unser AMEOS Chirurgischer Newsletter

Chirurgischer Newsletter

Neuroendokriner Tumor der Appendix (ANET)

Eigener Fall

Ein 31-jähriger Mann stellt sich mit seit 3 Stunden zunehmenden Unterbauchschmerzen auf der Notfallstation vor. Bei Unterbauchperitonitis wird trotz fehlender Entzündungskonstellation im Labor die Diagnose Appendicitis acuta erhoben und bei der raschen Laparoskopie bestätigt. Die Appendix wird in Stapler-Technik abgetragen. Der postoperative Verlauf ist ungestört. Die Pathologie findet einen gut differenzierten neuroendokrinen Tumor (NET, G1) mit Infiltration aller Wandschichten und kleinherdiger Infiltration der Subserosa (pT3), Nachweis von Perineuralscheideninfiltration (Pn1) ohne Gefässinvasion (L0, V0). Der Tumor ist vollständig reseziert (R0). Lymphknoten sind im Präparat nicht vorhanden.

Das postoperative Staging-CT ist unauffällig und Chromogranin A im Serum ist normal (28,6ug/l). Mehrere Patienten-Gespräche folgen. Der Patient entscheidet sich zur onkologischen Nachoperation i.S. einer radikalen Ileocoecalresektion, Erneut unkomplizierter Verlauf und rasche Entlassung. Die Histologie beschreibt am Coecalpol keine Tumorreste, aber innerhalb des pericolischen Fettgewebes ist einer von 27 Lymphknoten befallen. Die Mikrometastase besteht aus 35 Tumorzellen (<0,1mm).

Op-Präparat: Caecum und Colon ascendens. Fadenmarkiert ist der ileocolische Gefäss-Stamm

Histologie der Appendix: Appendixquerschnitt mit unsymmetrischer Wandverdickung. Dort Infiltration durch einen monomorphen Tumor, der bis unter die Serosa infiltriert.

Histologie der Appendix: Höhere Vergrösserung Tumorinfiltrate mit typischen Zeichen eines gut differenzierten neuroendokrinen Tumors.

Histologie der Appendix: In hoher Vergrösserung monomorphe Tumorzellen mit sog. "Salz- und Pfeffer-Chromatin", kein Nachweis von Mitosen.

Histologie eines Lymphknotens: Immunhistochemischer Nachweis (LU5) einer Mikrometastase in einem mesenterialen Lymphknoten im onkologischen Nachresektat (Pfeil).

Kommentar

Die jüngste WHO Klassification unterscheidet den neuroendokrinen Tumor (NET) vom neuroendokrinen Carcinom (NEC) und der gemischten Neoplasie (MiNEN). Letztere sind selten. NETs finden sich in bis zu 2% aller Appendektomie-Präparate und machen etwa 70% aller Appendixneoplasien aus. Die allermeisten ANETs werden zufällig an der Spitze des Appendix entdeckt. Weiter proximal gelegen können sie eine Stase-Appendicitis verursachen. Hormon-produzierende Neoplasien («Carcinoidsyndrom») sind sehr selten und dann meist maligne und metastatiert. Die Prognose imponiert bei Kindern deutlich besser als bei Adulten. Die alleinige Appendektomie ist therapeutisch in der Regel ausreichend. Bei Vorliegen von Risikofaktor (> 2 cm, R1-Resektion, L1, V1, Infiltration der Mesoappendix, Mitoseindex Ki-67 > 2 %) wird radikal nachreseziert. Das 5 (10) -Jahres-Überleben beträgt beim lokalisiertem ANET fast 90% (< 80%), fällt aber bei Lymphknoten-Metastasierung unter 80% (<70%) ab.

Im vorliegenden Fall lag ein low-risk ANET vor. Der Patient wünschte die radikale Nachresektion, weil die Mutter am Dickdarmtumor verstorben war. Dies war eine glückliche Entscheidung, denn es fand sich dann doch in der akribischen histologischen Analyse eine Lymphknotenmetastase.

Die Nachsorge ist nicht standardisiert, sollte aber mehr als 10 Jahre dauern. Bei unserem jungen Mann besteht sie aus einem Abdomen-MR (nach 6 Monaten, dann jährlich). Chromogranin A ist der wichtigste Tumormarker, der sowohl bei hormonaktiven als auch bei funktionell inaktiven NET erhöht sein kann. Hinweis: Für die Bestimmung von Chromogranin A sollte eine PPI-Therapie für mindestens 3 Halbwertszeiten (10 – 14 Tage) abgesetzt werden, da selbst niedrig dosiertes PPI bereits nach kurzer Zeit den Chromogranin-A-Spiegel ansteigen lässt.

Ich danke PD Dr. med. Sylvia Höller, Institutsleiterin und Chefärztin des Instituts für klinische Pathologie, Stadtspital Zürich, für die Befundung und die Bilder.

Weiterführende Literatur

Ahadi M, Sokolova A, Brown I, Chou A, Gill AJ. The 2019 World Health Organization Classification of appendiceal, colorectal and anal canal tumours: an update and critical assessment. Pathology. 2021 Jun;53(4):454-461. doi: 10.1016/j.pathol.2020.10.010

Lousberg L, Collignon J, Detry O. Appendiceal neuroendrocrine neoplasms: incidentaloma or something we should worry about? Curr Opin Gastroenterol. 2020 Jan;36(1):48-54. doi: 10.1097/MOG.0000000000000597. PMID: 31633562.

Prof. Dr. med. Dr. h.c.

NORBERT RUNKEL

Chefarzt Chirurgie, 
Leiter der Klinik für Chirurgie,
Facharzt FMH für Chirurgie, speziell Viszeralchirurgie und Intensivmedizin
AMEOS Spital Einsiedeln

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