Zum Hauptinhalt springen

Unser AMEOS Chirurgischer Newsletter

Chirurgischer Newsletter

Hashimoto-Thyreoiditis

Fortbildungsveranstaltung

Am Donnerstag, 28. Oktober 2022 fand in Einsiedeln eine Fortbildungsveranstaltung statt. Hier die Essenz aus der Veranstaltung.

 

Die Referenten:

Schilddrüsen-Sonographie

Dr. med. Simon Stäuble, Geschäftsführer, Facharzt FMH für Innere Medizin, MedicoPlus Health Care AG

Verlauf und Therapie

Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Oliver Thomusch,  Leiter Endokrine Chirurgie, Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Universitätsklinikum Freiberg, Deutschland

Szintigraphie und Radiotherapie

PD Dr. med. Michael Wissmeyer, Leitender Arzt Radiologie und Nuklearmedizin, Stadtspital Zürich

Falldiskussion: Wo herrscht Konsens, wo Dissens?

Prof. Dr. med Dr. h. c. Norbert Runkel, Chefarzt Chirurgie, AMEOS Spital Einsiedeln

Dr. Hakura Hashimoto

Dr. Hakura Hashimoto (1881-1934) entstammte einer angesehenen japanischen Ärztedynastie. Seine Entdeckung der lymphozytären Thyreoiditis veröffentlichte er 1912 in der deutschen Zeitschrift «Archiv für klinische Chirurgie». Erst Jahrzehnte später wurde sie als Autoimmunerkrankung verstanden.

weitere Informationen in Wikipedia

Verlauf des HT

Die Hashimoto-Thyreoiditis (HT) ist eine häufige, insbesondere Frauen befallene, nicht heilbare Autoimmunerkrankung. Antikörper gegen die Schilddrüsenperoxidase (aTPO) und eine Lymphozyteninfiltration führen zur Zerstörung der Thyreozyten. Diese langjährige Destruktion der Drüse kann infolge einer Freisetzung gespeicherter Schilddrüsenhormone aus zerstörten Schilddrüsenfollikeln mit einer Hyperthyreose (Hashitoxikose) beginnen. Diese passagere Phase muss symptomatisch mit ß-Blockern überbrückt werden, denn Thyreostatika zeigen keine Wirkung. Euthyreose besteht, solange ausreichend vitales Schilddrüsengewebe den Zellverlust kompensieren kann. Regelmässige TSH-Kontrollen sollen den Rückgang der Schilddrüsenfunktion überwachen. Typischerweise resultiert nach mehrjähriger Inflammation eine Hypothyreose, die supplementiert werden muss.

Supplementation

Die Dosis von Levothyroxin (LT4) basiert auf dem Grad der erhaltenen Schilddrüsenfunktion und der fettfreien Körpermasse und liegt normalerweise zwischen 1,4 und 1,8 µg/kg/Tag. Bei sehr breiter Spanne des normalen TSH muss sich die Substitutionsdosis an den Symptomen ausrichten. Wichtig: Die meisten Patienten mit HT erreichen ihre Wohlfühldosis erst ab Werten über 70 Prozent oder nahe 100 Prozent. Es gibt keine Evidenz für oder gegen die Verwendung von Trijodthyronin (T3).

Antikörper

Der HT wird durch erhöhte Antikörper gegen TPO und TG nachgewiesen. Bei einer Übergangsform zum Morbus Basedow finden sich meist auch TR-Antikörper. In fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung fallen die Antikörpertiter und die Autoimmunentzündung wird bei ausschliesslicher Bestimmung der Laborwerte nicht selten übersehen.

Schilddrüsen-Ultraschall: Im Querschnitt typische inhomogene Strukturveränderungen der HT mit Hypervaskularisation:

Ultraschall

Der Ultraschall zeigt eine echoarme diffuse parenchymale Echomuster mit Septierung, ein auch als «mottenfrass- oder leopardenfellartig» oder «geisterähnlich» beschrieben werden. Initial mag die Drüse vergrössert sein, aber später atrophiert sie zunehmend. Das Ultraschallbild des nodulären HT ist recht variantenreich. Bei Knotenbildung gelten die allgemeinen Empfehlungen Feinnadelzytologie.

Krebsrisiko

Die HT ist mit einem mehrfach erhöhten Risiko für papillären Schilddrüsenkrebs und Schilddrüsen-Lymphom verbunden, weswegen eine regelmässige Schilddrüsen-Sonographie zur Überwachung dazugehört. Interessanterweise ist die Langzeitprognose beim HT-assoziierten papillären Karzinom besser als beim nicht-HT-assoziierten Krebs.

Erhöhes Krebsisiko für 

  • Schilddrüsen
  • Mamma
  • Lunge
  • Verdauungssystems
  • Urogenital
  • Blut

Symptomatik

Die Symptome der schleichenden Unterfunktion, wozu Müdigkeit, emotionale Instabilität, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Obstipation und Gewichtszunahme gehören, werden oft als Burnout oder Klimakterium abgetan. Oft dauert es Jahre, bis die Krankheit erkannt wird. Bei jedem vierten Patienten dominieren andere unspezifische psychische und somatische Beschwerden als Ausdruck der autoimmunen Grunderkrankung (Tabelle). Eine eindeutige Korrelation zur Höhe der Antikörper gibt es aber nicht. Solche Patienten durchlaufen aufwendige Untersuchungen, weil der kausale Zusammenhang mit der HT nicht erkannt wird. Wenn das ärztliche Augenmerk allzu sehr auf die Substitution der Schilddrüsenunterfunktion gerichtet ist, fühlen sich viele Patienten von ihrem Arzt unverstanden oder nicht ernstgenommen. Die HT verlangt deshalb eine ganzheitliche Herangehensweise.

Symptome der Autoimmunerkrankung

  • Gelenkschmerzen 
  • Muskelschmerzen (eventuell auch hormonell ausgelöst)
  • Verhärtung von Sehnen und Muskeln
  • unterschiedliche Hautveränderungen, (zum Beispiel Urticaria, Rosazea)
  • Trockenheit der Schleimhäute (Sicca Syndrom)
  • Stimmungslabilität (sowohl durch Immunkrankheit ausgelöst, als auch durch hormonelle Veränderungen)
  • neurologische Symptome (Neuritiden), Schwindel, unsicherer Gang
  • extrem selten epileptische Anfälle, Halluzinationen, psychiatrische Symptome (Hashimoto Encephalopathie)
  • allgemeine Schwäche, geringe Belastbarkeit
  • Übelkeit und Magen-Darmprobleme, Verdauungsprobleme
  • Augenerkrankung (endokrine Orbitopathie)
  • grippeähnliche Symptome, Lymphknotenschwellung, Fieber
  • erhöhte Leberwerte
  • stecknadelkopfgrosse, weisse Flecken auf den Unterarmen

Neuer Stellenwert der Chirurgie

Traditionell stand die Operation bei HT im Hintergrund, aber eine prospektiv randomisierte Studie aus Norwegen von 2019 ändert dies nun. Die 147 Studienteilnehmer (18 bis 79 Jahre) hatten alle hohe Antikörperspiegel. Ihre Lebensqualität war trotz medikamentöser Euthyreose durch Müdigkeit, körperlichen und sozialen Funktionsverlust, Vitalitätsreduktion, emotionale und geistige Instabilität und somatische Schmerzen messbar beeinträchtigt. Die Ergebnisse bei den 73 operierten Patienten waren bemerkenswert. Die Antikörperspiegel fielen auf fast normale Werte und die Lebensqualität verbesserte sich deutlich und signifikant. Die Müdigkeit verschwand soweit (Fatigue-Score sank von 23 auf 14 Punkte), dass sie mit der normalen norwegischen Bevölkerung vergleichbar war. Diese viel beachtete Studie hat in den grossen Zentren ein Umdenken eingeleitet und den Stellenwert der Operation korrigiert. Die Schilddüsenentfernung sollte bei Symptomen mit hohen AK-Spiegeln indiziert werden.

Chirurgische Qualität

Das Risiko der Thyreoidektomie liegt heutzutage bei etwa 1 Prozent für die permanente Recurrensparese und unter 2 bis 3 Prozent für den permanenten Hyperparathyreoidismus. Nicht beeinflussbare Risikofaktoren sind grossen Strumen, Rezidiv-Operationen oder der M. Basedow. Beeinflussbare Faktoren sind die Erfahrung des Operateurs, die Verwendung der Lupenbrille und das intraoperative Neuromonitoring des Nervus laryngeus recurrens. Diese drei Faktoren sind im AMEOS Spital Einsiedeln vorhanden – allen voran die überragende Erfahrung in der Schilddrüsenchirurgie inklusive der radikalen Thyreoidektomien, neck dissections und der Nebenschilddrüsenchirurgie.

Anmerkung

Das Vorhandensein von Anti-TPO bei schwangeren Frauen ist mit einem 2- bis 4-fachen Risikoanstieg für Fehl- und Frühgeburten verbunden. Es gibt aus der Literatur keine Hinweise dafür, dass eine Gravidität die Entzündungsdynamik beeinflusst. In der Schwangerschaft wird ausschliesslich T4 verordnet, denn T3 kann die fötale Blut-Hirn-Schranke nicht ausreichend überwinden.

Weiterführende Literatur

Hu X, Wang X, Liang Y et al. Cancer Risk in Hashimoto's Thyroiditis: a Systematic Review and Meta-Analysis. Front Endocrinol (Lausanne). 2022

Guldvog I, Reitsma LC, Johnsen L et al. Thyroidectomy Versus Medical Management for Euthyroid Patients With Hashimoto Disease and Persisting Symptoms: A Randomized Trial. Ann Intern Med. 2019

Prof. Dr. med. Dr. h.c.

NORBERT RUNKEL

Chefarzt Chirurgie, 
Leiter der Klinik für Chirurgie,
Facharzt FMH für Chirurgie, speziell Viszeralchirurgie und Intensivmedizin
AMEOS Spital Einsiedeln

Newsletter abonnieren